Sozialrecht Regensburg: Einkommensanrechnung von „überschießendem“ Kindergeld

In Fällen sog. Einkommensschwacher Familien stellt sich immer wieder das Problem, dass ein Kind seinen Unterhalt aus eigenem Vermögen oder Einkommen (z.B. Unterhalt) bestreiten kann. Es fällt daher aus der Bedarfsgemeinschaft heraus. Das eigentlich für das Kind bestimmte Kindergeld wird dann als Einkommen der Eltern angerechnet. Diese sollen von diesem Geld ihren Lebensunterhalt bestreiten. Bedenkt man, dass in einer „reichen“ Familie das Kindergeld uneingeschränkt der Förderung der Entwicklung des Kindes zugutekommen kann, erscheint es doch mehr als bedenklich, wenn man das Kindergeld in einer „armen“ Familie für den Unterhalt der Eltern verwenden soll. Dennoch bestätigen die Sozialgerichte genau diese Vorgehensweise der Sozialleistungsträger.

Allerdings gibt es seit der Unterhaltsrechtsreform gute Argumente gegen diese Auffassung:

Mit seinem Beschluss 1 BvR 932/10 vom 14.07.2011 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass das Kindergeld seit 01.01.2008 eigenes Einkommen des Kindes ist und damit (nur) zur Deckung des Bedarfs des Kindes zu verwenden ist. Es steht nicht für Zwecke der Eltern zur Verfügung. Nach § 1612b BGB in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung stand das Kindergeld grundsätzlich den Eltern zu, die es zur Deckung ihres eigenen Bedarfs einsetzen durften. Kindergeld wurde als Einkommen der Eltern angesehen, welches ihnen zur Erleichterung der ihren Kindern gegenüber bestehenden Unterhaltslast gewährt wurde (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.07.2011 1 BvR 932/10, 36).Im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz hat der Gesetzgeber im Rahmen der Unterhaltsrechtsreform 2007 den § 1612b BGB neu ausgestaltet und einen Systemwechsel bei der Zuweisung des Kindergeldes vollzogen. In § 1612b BGB n.F. hat er das Kindergeld nicht mehr den Eltern, sondern den Kindern selbst als deren eigenes Einkommen bindend und unabhängig vom Außenverhältnis zwischen dem Bezugsberechtigten und der Familienkasse zugewiesen (vgl. Bundesverfassungsgericht, aaO, Rn. 37) Der Gesetzgeber wollte ausdrücklich die Zweckbestimmung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes in § 1612b BGB n.F. den sozialrechtlichen Bestimmungen des § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II und des § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII angleichen (vgl. BTDrucks 16/1830, S. 29).

Würde man nun den Kindergeldüberhang (durchaus entsprechend der bisherigen einfachgesetzlichen Rechtslage) weiterhin als Einkommen der Eltern anrechnen, wäre dies mit dieser Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers und mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen. Das Kind, dessen Familie in beengten finanziellen Verhältnissen lebt, wäre (obwohl es selbst überhaupt nicht hilfebedürftig ist) zur Bestreitung des Lebensunterhaltes seiner Angehörigen verpflichtet. Dafür müsste das Kind zum einen Mittel einsetzen, die der Gesetzgeber ihm nunmehr ausdrücklich zuweist und die ausschließlich der Förderung seiner Belange und des Kindeswohles dienen sollen. Zum anderen wird damit in Abweichung zum „normalen“ Familienrecht eine viel weitergehende Unterhaltspflicht geschaffen. Aufgrund der im Familienrecht geltenden Freibeträge, würde ein Anspruch auf Elternunterhalt in den vorliegenden Konstellationen von vornherein ausscheiden. Im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes scheint dies unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt. Bei der Familie, die in guten finanziellen Verhältnissen lebt, stünde das Kindergeld allein dem Kind und dessen Entwicklung zu. Bei der Familie die in ärmeren Verhältnissen lebt, stünde das Kindergeld nur bis zur Höhe des fiktiven Bedarfs dem Kind zu, der darüber hinausgehende Betrag müsste aber für den Lebensunterhalt der Angehörigen eingesetzt werden und käme daher insoweit von vorherein gerade nicht mehr der Entwicklung des Kindes zugute.

Dr. Ronald Hofmann, LL.M. (UCT), Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

Regensburg, Nürnberg, Schmidmühlen, Kapstadt

www.kanzlei-hhs.de

 

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