Arbeitsrecht Regensburg: „Faktische“ Kündigung durch Versetzung in der Zeitarbeit

Immer wieder kommt es in der Zeitarbeitsbranche vor, dass eine Zeitarbeitsfirma einen unbeliebten Mitarbeiter zu einem weit entfernten Entleiher versetz (anstatt den Arbeitnehmer zu kündigen) und damit gerade Arbeitnehmer im unteren Lohnbereich zur eigenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwingt. Diese Mitarbeiter sind regelmäßig nicht bereit oder können es sich einfach auch nicht leisten, jeden Arbeitstag u.U. mehrere hundert Kilometer zu pendeln.

Wie kann ich mich als Mitarbeiter in einen solchen Fall verhalten? Auf jeden Fall sollte man es vermeiden, die Arbeitsstellenzuweisung generell abzulehnen. Die zugrundeliegende Arbeitsverträge sehen zumeist eine deutschlandweite Verwendung des Mitarbeiters vor und durch eine solche generelle Verweigerung riskiert man schnell eine (dann u.U. berechtigte) Abmahnung oder Kündigung. Wesentlich besser ist es, den Arbeitgeber auf die eintretenden finanziellen Konsequenzen hinzuweisen. Hier sind vor allem die (grundsätzliche) Pflicht zur Erstattung der Fahrtkosten (0,30 EUR je Fahrtkilometer) und die Vergütungspflicht der Fahrtzeit.

Das Landesarbeitsgericht Köln (13 Sa 881/06, Urteil vom 24.10.2006) hat in diesem Zusammenhang beispielsweise  entschieden und ausgeführt:

1. Zum Anspruch auf Fahrtkostenerstattung

„Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von 1.500,54 EUR Fahrtkostenerstattung für die Monate August bis November 2005 verurteilt. Dem Kläger steht ein Aufwendungsersatzanspruch auf Fahrtkostenerstattung in dieser Höhe aus § 670 BGB zu. Das Berufungsgericht schließt sich der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts an. Der Arbeitsvertrag der Parteien sieht keine Erstattung von Fahrkosten vor. Der einschlägige Manteltarifvertrag verweist in Zif.16 darauf, dass „die durch wechselnde Einsatzorte entstehenden zusätzlichen erstattungsfähigen Aufwendungen des Arbeitnehmers gemäß § 670 BGB … auf der betrieblichen Ebene geregelt (werden)“. Eine betriebliche Regelung besteht bei der Beklagten nicht. Der Anspruch auf Fahrtkostenerstattung ergibt sich aus § 670 BGB. Diese Vorschrift findet auf Aufwendungsersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis entsprechende Anwendung, denn sie enthält einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der auch für das Arbeitsverhältnis gilt. Danach kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber Ersatz der Aufwendung verlangen, die er in dessen Interesse hatte und die er den Umständen nach für erforderlich halten durfte (BAG 14.10.2003 – 9 AZR 657/02 – AP § 670 BGB Nr. 32). Der Kläger als Leiharbeitnehmer hat Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Fahrten auf Weisung der Beklagten von deren Betriebssitz zum Einsatzort des Entleihers. Ein Leiharbeitnehmer hat mangels anderweitiger vertraglicher Regelung einen Anspruch auf Erstattung der ihm tatsächlich entstandenen Fahrtkosten, soweit die Reisekosten zu dem Arbeitsort, den der Verleiher ihm zuweist, die Kosten für die Reise von der Wohnung zur Geschäftsstelle des Verleihers übersteigen (LAG Köln 15.11.2002 – 4 Sa 692/02 – LAGE § 670 BGB Nr.14). Die jeweilige Anreise des Leiharbeitnehmers zum Entleiher stellt zwar einen Teil seiner eingegangenen Arbeitspflicht dar, die hiermit verbundenen Aufwendungen sind aber nicht durch den normalen Vergütungsanspruch abgegolten. Vielmehr ist bei den Fahrten zur täglichen Aufnahme der Arbeit bei Entleihern zu berücksichtigten, dass die hiermit verbundenen Fahrkosten ausschließlich auf Veranlassung und im Interesse des Verleihers entstehen und vom Leiharbeitnehmer nicht (z.B. durch Verlegung des Wohnsitzes in die Nähe der Arbeitsstelle) beeinflusst werden können (vgl. Ulber, AÜG 3. Auflage, Rn. 53 a). Die Pflicht zum Aufwendungsersatz umfasst jedoch grundsätzlich nur die Fahrtkosten von der Betriebsstätte zum Einsatzort. Denn die Ausgaben für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gehören zum persönlichen Lebensbedarf, der nach allgemeiner Auffassung zum persönlichen Lebensbedarf gehört, der von der Vergütung zu bestreiten ist (vgl. Küttner/Griese, Personalbuch 2006, Aufwendungsersatz Rn. 2 m.w.N.).“

2. Zum Anspruch auf die Vergütung der Fahrzeit

Kläger hat Anspruch auf Vergütung der Fahrtzeit als Arbeitszeit in Höhe von 758,54 EUR brutto für die Monate August bis November 2005. Der Arbeitsvertrag der Parteien und der einschlägige Manteltarifvertrag gewähren eine Vergütung lediglich für die beim Kunden tatsächlich geleistete Arbeitszeit. Eine Vergütung der Reisezeit ist nicht vorgesehen. Daher kann die Vergütung der Fahrzeit nicht auf § 611 BGB i.V. mit dem Arbeitsvertrag gestützt werden.Der Vergütungsanspruch ergibt sich aus § 612 Abs. 1 BGB. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. § 612 Abs. 1 BGB bildet die Rechtsgrundlage in den Fällen, in denen entweder überhaupt keine Vergütungsvereinbarung vorliegt oder aber über die vereinbarte Tätigkeit hinaus Dienste oder Überstunden oder Mehrarbeit geleistet werden (BAG 03.09.1997 – 5 AZR 428/96 – AP Nr. 1 zu § 611 BGB Dienstreise m.w.N.).Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass die Fahrtzeit des Klägers als Arbeitszeit anzusehen ist, in der dieser für die Beklagte eine „Dienstleistung“ (Arbeit) erbracht hat. Für die Frage, ob eine Dienstleistung vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob die betreffende Tätigkeit „Arbeitszeit“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz ist. Arbeit iSv § 612 BGB ist vielmehr jede Tätigkeit, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (BAG, 11.10.2000 – 5 AZR 122/99 – AP Nr. 20 zu § 611 BGB Arbeitszeit). Demnach ist die Zeit, die ein Arbeitnehmer über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus im Interesse des Arbeitgebers aufwendet, Arbeitszeit (BAG, 03.09.1997 a.a.O.; MüArbR-Blomeyer, a.a.O. Rn. 108, 109 m.w.N.). Auch die Fahrtzeit eines Leiharbeitnehmers, der zur Erfüllung seiner geschuldeten Haupttätigkeit außerhalb der Betriebsstätte seines Arbeitgebers zu den jeweiligen Einsatzorten fährt, ist demzufolge Arbeitszeit. Dabei kann es, da allein auf die Fremdnützigkeit der Tätigkeit abzustellen ist, nicht darauf ankommen, ob der Kläger diese Fahrtzeit mit seinem Pkw zurücklegt, diesen selbst steuert oder andere Verkehrsmittel benutzt. Dies betrifft grundsätzlich nur die Zeit für die Anfahrt von der Betriebsstätte zum Einsatzort, da die Zeit für die Fahrt vom Wohnort zur Betriebsstätte nach allgemeiner Auffassung dem privaten Lebensbereich zuzuordnen ist (vgl. etwa MünchArbR-Blomeyer, 2.Aufl. § 48 Rn. 108). Die Fahrtzeit von der Wohnung zur Betriebsstätte gilt jedoch dann als Arbeitszeit, wenn diese auf Anweisung des Arbeitgebers nur deshalb erfolgt, um andere Mitarbeiter zum Einsatzort mitzunehmen.Diese Fahrtzeit des Klägers stellt auch eine vergütungspflichtige Arbeit im Sinne des § 612 Abs. 1 BGB dar, da sie den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Da im Streitfall keine arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Regelung besteht, sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Einen Rechtssatz, dass solche Reisezeiten stets oder regelmäßig zu vergüten seien, gibt es nicht (BAG 03.09.1997 a.a.O.). Die Vergütungserwartung ist anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung und der Stellung der Beteiligten zu einander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankäme (BAG, 11.10.2000 a.a.O.). Ein gewichtiger Umstand, aus dem eine objektive Vergütungserwartung herzuleiten ist, sind die branchenspezifischen Tarifverträge. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann jedoch aus der fehlenden Vergütungsregelung für Fahrtzeiten in dem von den Parteien in Bezug genommenen Manteltarifvertrag nicht geschlossen werden, dass der Kläger als Leiharbeitnehmer keine objektivierbare Vergütungserwartung haben kann. Die fehlende Regelung dazu im Manteltarifvertrag sagt zunächst nur, dass sich die Tarifvertragsparteien darüber nicht geeinigt haben. Die Vorstellung der am Abschluss dieses Tarifvertrags beteiligten Tarifvertragsparteien geben auch keinen hinreichenden Aufschluss über die Vergütungserwartung der gesamten Zeitarbeitsbranche, da sie nur einen eher kleinen Teil der Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfassen. Für eine objektivierbare Vergütungserwartung ist auch der Manteltarifvertrag Zeitarbeit BZA/DGB zu berücksichtigen. Dieser enthält eine tarifliche Regelung zur Vergütung von Reisezeiten. § 8.3 regelt, dass der Mitarbeiter, wenn für den einfachen Weg außerhalb der Arbeitszeit von der Niederlassung/Geschäftsstelle zum Einsatzort beim Kundenbetrieb mehr als 1,5 Stunden bei Benutzung des zeitlich günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels aufgewendet werden müssen, die über 1,5 Stunden hinausgehende Wegezeit je Hin- und Rückweg mit den tariflichen Entgelten bezahlt (erhält), sofern er diese Wegezeit tatsächlich aufgewandt hat. Aus den Tarifverträgen lassen sich danach weder eindeutige objektive Umstände für, noch gegen eine Vergütungspflicht der Reisezeit ableiten. Ebenso wenig ist eine einheitliche Verkehrssitte feststellbar.

Die Vergütungspflicht ergibt sich im Streitfall jedoch aus den zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls.

Der Kläger konnte die Vergütung der Fahrtzeit aufgrund der besonderen Gestaltung des Arbeitsvertrages erwarten. Danach war er verpflichtet, seine Arbeitsleistung in der gesamten Bundesrepublik Deutschland, auf wechselnden Einsatzstellen zu erbringen (§ 1). Die Beklagte war demnach berechtigt, dem Kläger nicht nur in der Region, sondern bundesweit einzusetzen. Der Kläger hätte demnach auf Anweisung der Beklagten auch beispielsweise nach F oder K zum Einsatzort fahren müssen. Im Hinblick auf diese arbeitsvertraglich geregelte umfassende Weisungsbefugnis der Beklagten konnte der Kläger davon ausgehen, dass die je nach Weisung möglicherweise mehrere Stunden am Tag dauernde Fahrtzeit zum Einsatzort auch vergütet wird.

Es kommt hinzu, dass der Kläger aufgrund des ihm gezahlten Tarifstundenlohns der 1. Entgeltgruppe in Höhe von nur 6,15 EUR brutto erwarten konnte, dass die Fahrtzeiten zu den jeweiligen Einsatzorten auch unter Berücksichtigung des umfassenden Direktionsrechts, gesondert vergütet werden.

Schließlich ergibt sich im Streitfall noch ein weiterer besonderer Umstand daraus, dass der Kläger nicht nur selbst mit seinem Pkw zum Einsatzort gefahren ist, sondern wiederholt von der Beklagten angewiesen wurde, Kollegen zum Einsatzort mitzunehmen. Dies geschah als zusätzliche Arbeitsleistung allein im Interesse der Beklagten. Der Kläger konnte für seine Bereitschaft und die tatsächliche Inanspruchnahme dieser zusätzlichen „Dienstleistung“ von der Beklagte eine Vergütung erwarten. Dies umso mehr, als diese dadurch eigene Aufwendungen, etwa Fahrtkostenerstattung bzw. das Vorhalten eines betriebseigenen Beförderungsmittels erspart hat.“

Auch wenn es gerade hinsichtlich der Vergütungspflicht der Fahrzeit auf die Umstände des Einzelfalles ankommt, kann doch allein die bloße Aussicht auf die großen finanziellen Auswirkungen die Zeitarbeitsfirma häufig zu einem nochmaligen Überdenken einer solchen Versetzungsanordnung bewegen. Oft dürfte es in einem solchen Fall sinnvoll sein, sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen.

Die Rechtsanwälte Dr. Hofmann, Huesmann und Sodan beraten und vertreten Privatpersonen sowie kleine und mittelständische Unternehmen vor allem in den Bereichen Arbeitsrecht, Familienrecht und Strafrecht. Eine besondere Kompetenz der Kanzlei liegt dabei in der Bearbeitung von Fällen mit internationalem Bezug, z.B. mit Berührungspunkten zu Russland oder Südafrika. Die Kommunikation mit den Anwälten kann in Deutsch, Russisch und Englisch erfolgen. Daneben kommen die Rechtsanwälte auch ihrer sozialen Verantwortung nach, insbesondere durch die Übernahme von sozialrechtlichen Mandaten im Grundsicherungsrecht, die Tätigkeit als Verfahrensbeistand in familienrechtlichen Verfahren oder die Vertretung von Personen als Pflichtverteidiger im Strafverfahren.

Dr. Ronald Hofmann, LL.M. (UCT), Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

Regensburg – Nürnberg – Schmidmühlen

www.kanzlei-hhs.de

 

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